26.03.2023 Osthessen-Wetter vorort | F1 Tornado in Großenlüder

26.03.2023 17:34-17:39 MESZ Hessen | Fulda | Großenlüder | Hemmen

Zweiter Tornado in Großenlüder innerhalb von 7 Jahren

Die meteorologischen Untersuchungen und Vermessungen im Tornadofall Großenlüder konnten nun abgeschlossen werden.

Am Sonntag 26.03.2023 bildete sich um 17:34 Uhr in der Straße „Am Bahnhof“ im nordöstlichen Ortsrandbereich von Großenlüder ein Tornado der Stärke T3 F1. Der Tornado entstand kurz nach einem kräftigen Graupelschauer während des Auflöseprozesses der Gewitterzelle, aus der sich bereits in Annerod bei Gießen ein F1 Tornado um 16:25 Uhr bildete. Den ersten Bodenkontakt (TDP F1 Großtrombenfuß) konnten wir auf einem Lagerhallendach des ehemaligen Firmengeländes der Dura Tufting GmbH kartieren. Beim ersten Aufsetzen des Tornados wurden übliche konvergente Inflow Windfelder aus südlicher und westlicher Richtung zum Trichterkern verifiziert. Süd-südwestlich stand 138 Meter vom Tornado entfernt im rechten Inflow eine eher windgeschützte Wetterstation (2m), die 72.3 km/h sekundäre Windeinströhmungsfelder gemessen hatte. Die Wetterstation konnte einen Windsprung von Süd nach Ost und auf West drehend aufzeichnen, jedoch war der Luftdruckwert (hPa) auf dieser Entfernung unauffällig. Weitere sekundäre Windeinströhmungsfelder konnten auf einem Grundstück zwischen der Wetterstation und dem Werksgelände kartiert werden. Hier wurden Blumenkübel und Gartenmöbel auf 50° bis 60° verfrachtet und in Konvergenz eine Blautanne mit Wurzel auf 340° geworfen. Der Tornado erreichte bereits zu Beginn ab dem ersten Boden- bzw. Hallendachkontakt seine Hauptstärkungsphase. Die Industriehallendächer wiesen keine seitlichen Windangriffsflächen auf, bestehen aus älteren gewellten Asbestfaserzement und als Dämmung wurde weißes Polystyrol (Styropor) verwendet. In der Schadensanalyse zeigten sich eng begrenzt vertikal nach oben herausgerissene bzw. herausgehobene Asbestfaserzementplatten, welche durch linksdrehende Rotation und Unterdruck in Konvergenz in nordöstlich bis nördliche Richtungen weiter verfrachtet wurden. Die Trümmerteile der Dachkonstruktion wurden im rotierenden Trichterkern auf T3 beschleunigt und zu gefährlichen Geschossen. Zu diesem Zeitpunkt konnten vier Augenzeugen den Tornado mit der schnell rotierenden Trümmerwolke beschreiben. Fotos und Videos wurden nicht aufgenommen und somit ist auch eine sekundengenaue Zeitberechnung sowie die genaue Zuggeschwindigkeit in diesem Fall nicht möglich. Als der Tornado die Produktionshallen in nordöstlicher Zugrichtung verließ, zog er an einem Bürogebäude vorbei und die Trümmerteile schossen in die Bürogebäudewand (Fotos). Es wurden der Aussenputz und weitere Gebäudeteile durch die Eternit Geschosse – welche aus dem Tornado Rotationskern schleuderten – beschädigt, Fensterscheiben zerbrachen. Auf den angrenzenden landwirtschaftlichen Nutzflächen konnten wir weitere Faserzement- (Eternit) und Polystyrol-Verfrachtungen in Konvergenz auf 10°/55° kartieren (Fotos). Der Tornado zog unter Abschwächung aus der Tallage weiter über landwirtschaftliche Flächen und ein Sekundärbiotop hoch über die Straßen „Hof am Bonifaz“ und „Am Witteroth“ zur Biogasanlage. Hier konnte neben den Getreidehochsilos ein weiterer Tornado Bodenkontakt (TDP) auf einer Brennholzlagerfläche (Foto) kartiert werden. Nach Überquerung eines Miscanthusfeldes mit weiteren Verfrachtungen und Polystyrol Ablagerungen begann eine weitere Abschwächungsphase auf T1 F0 im Forstbereich. Hier wurde eine weitere linksseitige Verfrachtungsfläche (AAF2) bemessen. Im Forstbereich wurden in einer eng begrenzten Schneise, welche fast paralell zum Schmerweg verläuft, abgedrehte Kiefernkronen und gebrochene Kiefernäste kartiert. Im Kreuzungsbereich zum Schmerhof auf 370 mNN verlies der Tornado den Landkreis Fulda (Regierungsbezirk Kassel) und zog weiter in das Kreisgebiet Vogelsberg (Regierungsbezirk Gießen). Oberhalb der Ortslage Hemmen verstärkte sich kurzzeitig der Tornado auf T3 F1 und löste sich an einer Jägerhütte auf. In Tallage im Bereich der Fulda wurden keine weiteren Tornadoschäden kartiert. In Hemmen konnten wir weitere Augenzeugen antreffen, die das weiße Styropor / Polystyrol aus Großenlüder auf den landwirtschaftlichen Flächen fanden.

Der Tornado am 26.03.2023 im Fall Großenlüder – Hemmen konnte durch die satellitengestützte Vermessung und Bodenkartierung vorort von uns bestätigt werden. Zusätzlich konnten vier Augenzeugen den mit Trümmerteilen gefüllten und rotierenden Tornado beschreiben. In Anbetracht der Menge an herausgebrochenem Faserzement stufen wir konservativ die maximale Stärke des Tornados auf T3 F1, dies entspricht einem Kräfteverhältnis in Umrechnung auf maximale Windgeschwindigkeiten von 140 bis 160 km/h. Der aktuelle Tornadofall liefert ein hervorragendes Fallbeispiel für einen komplett mit Trümmerteilen gefüllten schwachen Tornado. Anbei ein Foto der verfrachteten Auswurf- und Ablagerungsflächen, die insgesamt mindestens eine Fläche von 98 Hektar (0,9827 km2 / 242,5 acre) aufweist. Die tornadoseitige Beweislast ist erdrückend, da keinerlei divergente Ströhmungsfelder auf einer Schneisenlänge von 4.77 Kilometern kartiert werden konnten. Daher schließen wir einen Fallwind (Microburst,Downburst) im Schadensfall Großenlüder aus. Es konnten keine Auswurfflächen rechtsseitig in östlicher Richtung außerhalb des Filzfabrikgeländes kartiert werden. Ebenso können wir einen Böenfrontwirbel (Gustnado) klar und deutlich als Ursache ausschließen, da der Luftwirbel nicht präfrontal vor dem Niederschlag auftrat. Die primäre Schneisenbreite wurde mit 6 Metern bemessen, der sekundäre Wirkungsbereich liegt bei 120 Metern Breite, wobei die Verfrachtungen deutlich in der Breite bis 512 Meter vom Tornadomittelpunkt abweichen. Die weitesten Verfrachtungen von leichtem Polystyrol aus dem Tornado wurden von uns in 3,67 km weiter Entfernung vom Dura Gelände kartiert und die letzte Auswurf- Ablagerungsfläche liegt in 4,86 km Entfernung kurz vor der Ortslage Hemmen. Die Schadensanalyse und die Aufarbeitung des Tornadofalles in Großenlüder wurde erst am 25.04.2023 abgeschlossen, da verschiedene Hersausforderungen zu meistern waren, wie geostationärer Ausfälle der Satellitenkommunikation und Rekonstruktion der Verfrachtungsflächen.

Alle Untersuchungsdaten und Vermessungen werden später in die Tornadokarte Osthessen im Menüpunkt „Karten>Tornados“ aufgenommen. Derzeit ist die Karte für Großenlüder noch hier abrufbar: Tornado Analyse Online

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